Rundfunkgeschichte vom 24. Juni
Am 24. Juni 1955 beginnt vor dem Obersten Gericht der DDR der Prozess „gegen Wiebach und andere“. Angeklagt sind fünf Bürger aus Ost-Berlin und der restlichen DDR, weil sie mit dem RIAS in Kontakt standen, dem Rundfunk im amerikanischen Sektor von Berlin. Vor Gericht steht also indirekt der Sender, der eine wichtige Informationsquelle für Hunderttausende, wenn nicht gar Millionen DDR-Bürger ist.
Der Sender ist ein Instrument der US-amerikanischen Medienpolitik und liefert ein bewusst antikommunistisches Informations- und Unterhaltungsprogramm, ist so schnell beliebter bei den Hörern als der kommunistisch kontrollierten Ost-Rundfunk. Schon kurz nach der Gründung des Ministeriums für Staatssicherheit gerät der RIAS ins Visier der DDR-Mächtigen: Störsender werden aufgebaut, Desinformationskampagnen gestreut, Spitzel eingeschleust.
Die Stasi sieht in dem Sender eine Agenten-Zentrale, die „Kriegspropaganda, Wühl- und Hetztätigkeit betreibt“ – so steht es in der Anklage des DDR-Generalstaatsanwalts 1955. „Die Beschuldigten, die an der verbrecherischen Tätigkeit des RIAS maßgeblich beteiligt waren, müssen hart bestraft werden.“ Der Schauprozess ist inszeniert von der Stasi auf Geheiß des Politbüros der SED. Der Verfahren richtet sich gegen fünf Informanten des RIAS aus der DDR, willkürlich herausgesucht aus mehreren Dutzend Bürgern, die in einer Großaktion gegen so genannte „RIAS-Agenten“ verhaftet werden. Ein Spitzel hat ihre Namen im Funkhaus des RIAS ausgespäht. Betroffen sind Menschen, die per Brief oder persönlich Verbindung aufgenommen haben zu dem Sender und beispielsweise politische Nachrichten, Wirtschaftsinformationen oder Stimmungsberichte aus dem Alltag der DDR oder ähnliches weitergeleitet haben.
In die Fänge der Staatssicherheit geraten sind der 29-jährige Dekorateur Joachim Wiebach, der 28-jährige Redakteur Richard Baier und der 23-jährige Elektromeister Manfred Vogt. Auch der 45-jährige Verwaltungsangestellte Willi Gast und der 50-jährige Drogist Günther Krause wurden verhaftet und zermürbt durch Isolationshaft und Schlafentzug.
Die Stasi hält die fünf für geeignet, den RIAS als „amerikanische Spionagezentrale“ anzuprangern und die Abteilung Staatliche Organe im Zentralkomitee der SED gibt die beabsichtigten Strafen vor: zwischen acht Jahren und lebenslänglichem Zuchthaus. Doch es geschieht etwas Unfassbares: Walter Ulbricht, der Erste Sekretär des ZK der SED, vermerkt „Einverstanden“ auf dem Papier, streicht allerdings das für Joachim Wiebach vorgesehene Strafmaß durch und ersetzt „lebenslängliches Zuchthaus“ durch „Vorschlag: Todesurteil“.
In der Beweisaufnahme werden ausschließlich Belastungszeugen gehört, darunter Spitzel der Staatssicherheit. Zwei Tage dauert die Verhandlung, die Angeklagten wirken eingeschüchtert. Das Urteil wird am 27. Juni verkündet, es entspricht den Weisungen von oben. Joachim Wiebach wird mit dem Tode bestraft statt wie ursprünglich beabsichtigt mit lebenslänglichem Zuchthaus. Vollstreckt wird das Todesurteil am 13. September. Ein Gnadengesuch der Eltern wird von DDR-Präsident Wilhelm Pieck abgewiesen. Ein Abschiedsbrief an die Eltern wird nicht ausgehändigt, sondern zu den Akten genommen.